Stau auf der Autobahn kostet nicht nur Zeit, sondern bedeutet auch einen wirtschaftlichen Verlust. Logistische Abläufe geraten ins Stocken, Menschen können ihrer Arbeit nicht nachgehen. Dies ist ein weltweit gleiches Problem. Eine einzigartige Lösung wurde nun in der Schweiz auf den Weg gebracht.
„ASTRA-Brücke“ lautet die Firmierung, die das Projekt beschreibt, das dort auch dank staatlicher Förderung auf den Weg gebracht wurde. Ein cleveres und einzigartiges Konzept einer mobilen Brücke, dessen Vorzüge ASTRA-Direktor Jürg Röthlisberger unterstreicht. „Wichtig ist, dass der Verkehr auf der Autobahn bleiben kann. Denn das ist die sicherste und effizienteste Verkehrsfläche.“ Diese Idee hat die ARGE Marti Technik und Senn AG in Zusammenarbeit mit Cometto im wahrsten Sinn des Wortes auf die Räder gestellt. Die Anforderung des Schweizer Autobahnbetreibers ASTRA war es, den Verkehr zweispurig so weiterzuführen, dass ein Belagwechsel staufrei ausgeführt werden kann. Zu diesem Zweck wurde ein europaweite Ausschreibung gestartet, die von den drei erwähnten Unternehmen gewonnen wurde.
Montage in nur zwei Nächten
Entstanden ist eine 236 Meter lange fahrbare Brücke, die ein Gesamtgewicht von stolzen 1.250 Tonnen aufweist. Damit sie eine S-Kurve mit einem Radius von 1.000 Metern durchfahren kann, wurde die Brücke in Sektionen produziert. Sie können jeweils am Stoß ca. drei Grad aktiv gelenkt werden.
„Das ganze Konzept musste so ausgelegt werden, dass die Montage der gesamten Brücke auf der Autobahnbaustelle in zwei aufeinander folgenden Nächten zu bewerkstelligen ist“, berichtet Toni Hauert, Leiter Bereich Spezialfahrzeuge bei der Marti Technik AG. „Deshalb wurde die Brücke modular konzipiert.“ Geliefert wurden 18 Portale und vier Rampeneinheiten, die jeweils funkferngesteuert selbstfahrend sind und sich auch ohne die Hilfe eines Kranes selbst auf- und wieder abladen können. Nur für die vier Rampen-Auffahrzungen ist es nötig einen Kran einzusetzen. Und natürlich auch für die 19 Zwischensegmente zwischen den Portalen in dreiteiliger Ausführung.
Karussellfahrt zum Andockmanöver
In der ersten Nacht erfolgt die Brückenmontage parallel mit zwei Montageteams von beiden Seiten. Zuerst müssen die Rampenzungen auf der Fahrbahn positioniert werden. Dann fahren die vier Rampenhälften in Position und koppeln sich mit den Rampenzungen über gewaltige Kurzhubpressen. Dann fährt der Mobilkran auf die Rampe und hebt das mittige Zwischensegment mit den Kuppelbolzen ein. Das erste Portal macht eine 90° Karussellfahrt auf der Autobahn und dockt ebenfalls am massiven Kuppelbolzen an. Dann kann der Kran links und rechts die dazu gehörenden Zwischendecks positionieren.
Als Abschluss der ersten Montagenacht fahren beide Brückenhälften aufeinander zu und kuppeln zusammen. Nun kann der Verkehr ein erstes Mal über die circa 136 Meter lange Brücke fahren, die im Moment nur aus einer 68 Meter langen Auffahrrampe und einer 68 Meter langen Abfahrrampe besteht.
Alle 22 Power Packs zusammen geschaltet
In der zweiten Montagenacht werden nun die restlichen Portale und Zwischendecks angeliefert für die fehlenden 100 Meter Länge. Um diese montieren zu können, muss die bereits montierte Brücke geöffnet werden, um dann mit der Montage fortzufahren. Abschließend wird die Brücke wieder als Einheit zusammengekoppelt und manuell in den Abschnitt gefahren, wo der Belagwechsel stattfinden soll. Dabei werden alle 22 Power Packs in einer Master-und-Slave-Programmierung zusammen geschaltet. „Dadurch ist es möglich“ so Joachim Kolb, Sales Manager von Cometto, „diese riesige Einheit mit nur einer Funkfernsteuerung zu bewegen, zu lenken und abzustellen.“
Aber bis es so weit gekommen ist, musste die Firma Senn AG im Vorfeld den kompletten Stahlbau produzieren. Der Rohbau der Brücke wurde in 38.000 Arbeitsstunden hergestellt und pünktlich abgeschlossen. Jörg Senn der Geschäftsführer der Senn AG stellt folgenden Vergleich: „Das sind umgerechnet circa 15 Mann/Arbeitsjahre, die wir hier geleistet haben.“
Deutlich geringeres Gefahrenpotential
Montiert wurden die Einheiten bei Marti Technik in Moosseedorf. Dorthin lieferte Cometto - das Kompetenzzentrum für selbstangetriebene Transporttechnik innerhalb der Faymonville Gruppe - die komplette Selbstfahrer-Ausrüstung. Insgesamt handelte es sich um 92 elektronisch gelenkte Achsen mit einem Achshub von je 700 Millimeter sowie 22 Power Packs mit Funkfernsteuerungen und 22 Hydraulik-Verteilerkästen.
Zurück zum Einsatz auf der Autobahn: Hier fließt nun der Verkehr auf zwei verengten Fahrspuren auf der Brücke über die Baustelle hinweg. „Das Gefahrenpotential für die involvierten Bauarbeiter ist extrem gesunken“, berichtet Jürg Merian der Projektleiter der ASTRA-Brücke, „weil der Verkehr nicht mehr an ihnen seitlich vorbeifahren muss.“ Und darunter öffnet sich ein 100 Meter langer Korridor mit einer Breite von 5,2 Metern und einer Höhe von 3,1 Metern.
Satellitennavigationssystem für präzises Vorfahren
In diesem Bereich sind Baumaschinen unterwegs, um den alten Asphalt abzufräsen und den neuen aufzutragen. Im Laufe der Nacht fährt die Brücke um 100 Meter weiter, um die kontinuierliche Vorsetzung der Arbeiten zu gewährleisten. Dazu berichtet Joachim Kolb aus dem Nähkästchen: ‚Die komplette Brücke wurde von Cometto mit einem Satellitennavigationssystem ausgerüstet. Dadurch fährt sie ‚wie von Geisterhand‘ auf den Zentimeter genau entlang der Autobahn – eben propelled to the MAX.“
Ein Erfolgskonzept, das auch andernorts auf offene Arme treffen dürfte. Erste Anfragen aus den Niederlanden und Japan für solche Brücken liegen bereits vor. Die innovative Herangehensweise trifft den Nagel auf den Kopf, denn schließlich ist die Problemstellung überall dieselbe. Demnach lässt sich festhalten, dass die Fahrt der ASTRA-Brücke und ihre Verbreitung noch lange nicht zu Ende ist.
Veröffentlichungsdatum: 03/2023